Ich komme mit- Angelika Waldis

Der Inhalt

Lazy und Elsie lieben sich, fahren gemeinsam in den Urlaub und erleben Tage voller Glück.
Doch dann verlässt sie ihn. Als ob das nicht genug wäre, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand immer weiter.
Die Diagnose: Leukämie.

Durch Begegnungen im gemeinsamen Treppenhaus finden der 20-jährige Mann und seine 72-jährige Nachbarin Vita Maier den Kontakt zueinander.
Was die beiden verbindet ist, dass sie beide auf unterschiedliche Weisen des Lebens müde sind.
Es entsteht eine philosophische Freundschaft in einer Wohngemeinschaft, sowie eine gemeinsame und vielleicht auch letzte Reise.

 

Über Vita

Vita ist 72 Jahre alt und alleinstehend. Ihr Mann ist an Krebs gestorben, der gemeinsame Sohn ist mit seiner Familie in Australien und lebt sein eigenes Leben. Lediglich an ihrem Geburtstag erhält sie eine obligatorische Grußkarte von ihm und als sie ihn anrufen möchte muss sie feststellen, dass sie nicht über seine aktuelle Nummer verfügt.
Weil Vita dennoch gebraucht werden will, bringt sie sich ehrenamtlich bei der Organisation Hungerhelp ein.

Altersbedingt fällt Vita vieles schwer. Ihr Körper schmerzt und manches macht er erst gar nicht mehr mit. Doch beklagen will sie sich nicht und sie hat auch gar keine Zeit dazu. Denn der Nachbarsjunge Lazy sieht mager aus und kann es gebrauchen, gepäppelt zu werden. Vita bietet ihm an, bei ihr zu Essen.
Die Mahlzeiten bei ihr häufen sich, bis Lazy schließlich ganz einzieht.

Dass Vita ein großes Herz hat, wird immer wieder deutlich. Bedingungslos bekocht sie den zunächst fremden jungen Mann, stellt ihm aus Rücksicht auf ihn keine unnötigen Fragen und ist sogar bereit einen Hund bei sich aufzunehmen, weil Lazy sich das wünscht.

 

Über Lazy

Im ersten Kapitel wird Lazy anhand der Beziehung zu Elsie vorgestellt. Hier wird deutlich, dass Lazy ein sensibler junger Mann ist, der absolut verrückt nach seiner ersten richtigen Freundin ist.

Elsie ist meine Elsie, und die Stunden, in denen ich sie nicht anfassen darf, sind verlorene Zeit.

Schon bald trennt sich Elsie von Lazy. Die Trennung macht ihm zu schaffen, aber noch mehr seine Erkrankung.

Ich werde gestraft, von wem, wofür, warum ich.

Der zwanzigjährige Geschichtsstudent hat keine Familie mehr.
Sein Vater hat ihm aber eine Wohnung und Geld vererbt. So finanziert Reisen nach Marokko, ins Engadin, nach Mexiko und in die Türkei.

Er sieht sich selbst als Chemo-Krüppel, möchte aber kein Mitleid.
Sogar seiner einzigen Bezugsperson Vita verschweigt er seinen schlechten Gesundheitszustand, bis sich dieser nicht mehr verheimlichen lässt.

Der Aufbau & die Sprachgestaltung

Der Roman Ich komme mit beginnt mit einem kurzen Epilog unter der Überschrift “Einige Jahre zuvor” und beschreibt die ursprüngliche Verbindung zwischen Lazar Laval aka Lazy und seiner Nachbarin Vita Maier.

Die folgenden Kapitel wechseln sich beginnend aus der Perpektive Lazys ab.
Die Passagen über ihn sind in der Ich-Perspektive verfasst, Vita lernt der Leser aus Sicht des allwissenden Erzählers kennen.

Hierdurch habe ich mich beim Lesen emotional mehr in Lazy hineinversetzen können.
Den Charakter der Vita kann ich nachvollziehen, aber durch die sprachlich geschaffene Distanz nicht nachempfinden.

Als richtig gelungen empfinde ich, dass auch sprachlich die Diskrepanz zwischen den Generationen deutlich wird, die die Ungleiche Verbindung ausmacht.
Entsprechend des Alter fällt die Wortwahl bei Lazy über seine Erkrankung beispielsweise folgendermaßen aus:

Ich hab den Rucksack voller Medikamente, werde sie schlucken, solange ich noch schlucken kann und die Scheißangst mir nicht die Speiseröhre verstopft.

Was beide teilen ist das Sinnieren über das Leben, gespickt mit Galgenhumor.

– Wie geht’s?
-Gut.
-Wieso?
-Ich freu mich auf’s Sterben.
-Warum?
-Wenn ich mich nicht darauf freue, sterbe ich auch.

Das Fazit

Bei dem Roman Ich komme mit hat es mir die Sprachgestaltung besonders angetan.
Die Worte sind durchgehend mit Bedacht gewählt und offenbaren so viele Ebenen wie der Leser bereit ist zu sehen.

Bei genauerer Reflexion muss ich sagen, dass ich den Inhalt zunächst nicht richtig überzeugend fand.
Für mich war nicht schlüssig, wie so unterschiedliche Charaktere, die sich auf den ersten Blick unsympathisch sind, im Treppenhaus aufeinander eingehen können, und wie es möglich ist, dass daraus eine Freundschaft erwächst.
Nachdem dieses Band – nach meinem Dafürhalten wie gesagt etwas holprig- geknüpft ist, zieht der Roman schlüssig und ohne Notwendigkeit des Hinterfragens den Leser in seinen Bann.

Auf einen Blick

Angelika Waldis

Ich komme mit

Roman

Verlag: Wunderraum

Gebundenes Buch,  224 Seiten,

ISBN: 978-3-336-54797-5

€ 20,00

Erschienen am 27.08.2018

Die Fahne der Wünsche von Tijan Sila

Der Inhalt

Ambrosio ist ein sechzenjähriger Rennradprofi. Seine Heimat ist das fiktive Crocutanien, wo die spiroistische Partei das Sagen hat.
Zu Beginn des Romans lebt er mit seiner psychisch kranken Mutter zusammen. Seit dem Tod des Vaters schottet sich diese von der Außenwelt ab.
Um dem zu entfliehen, verbringt der junge Sportler seine Tage außerhalb seines Trainings lieber in Spielhallen mit Flipper, oder mit seiner Freundin Betty am See.

Erwachsenwerden im Spiroismus ist alles andere als leicht.
Beispielsweise wurde die Kondomproduktion eingestellt, Alkohol und Zigaretten dürfen erst mit 21 erworben werden und sogar das Masturbieren ist verboten.
Erste sexuelle Erfahrungen machen Jugendliche heimlich in einem Park. Die Devise lautet: „ Zum Bumsen in den Barza”.
Als das Bild eines unanständigen Flippers auftaucht, wird auch dieses Spiel als „ besonders schädliche Ablenkung” gelistet und verboten.

Das obere Drittel des Spielfelds nahmen die gespreizten Beine einer Frau ein, die behaarte Vulva deutlich sichtbar. Ein weißes Sekret tropfte aus ihr. Vor dem Bauch des Spielers (…) waren zwei erigierte Penisse aufeinander gerichtet. (S. 68)

Weitere gefährdete Personengruppen im Spiroismus sind Landstreicher, Homosexuelle, psychisch Kranke wie Ambrosios Mutter, und Mitglieder der freien Jugend. Es gibt Erziehungsanstalten, wo diese Menschen dazu übergehen sollen sich so zu verhalten, wie es das Regime erwartet.

Seiner häuslichen Situation entkommt Ambrosio durch seinen Trainer Niccoló. Zunächst nimmt er ihn bei sich auf und ermöglicht ihm die Teilnahme an Wettkämpfen im Ausland. Dabei wird Ambrosio bewusst, dass das Leben außerhalb des Landes mehr zu bieten hat. Schöne Kleidung, große Häuser, bessere Rennräder.
Wer kann, der flieht

Ich hatte keine Zweifel mehr daran, dass ich auswandern würde. Wie sehr meine Pläne zu den Gegebenheiten in unserem Land im Widerspruch standen, war mir nicht bewusst, und Niccoló lachte über meine Naivität.

 

Das Fazit

Die Fahne der Wünsche ist ein Roman über politische Willkür, die sehr an den Kommunismus erinnert.
Brutalität, Willkür und die Knappheit an Gütern werden beschrieben.
Ebenfalls vorkommend ist der aktuelle Aspekt der Fake News, die von den Machthabern eingesetzt werden, um eigene Wert- und Normvorstellungen in Form von Gesetzen zu manifestieren.

Obwohl der Protagonist Ambrosio in Crocutanien lebt und aufwächst, weiß er nicht zu viel über die bestehende Politik, was sich auch auf den Leser überträgt. Die Besonderheiten Crocutaniens haben sich für mich nicht herauskristallisiert.

Ambrosio heißt die Machenschaften nicht gut, lehnt er sich aber auch nicht auf. Er ist feige und lässt sich instrumentalisieren. Eine andere Wahl hat er nicht.
Die Charaktere sind durchgehend authentisch und glaubwürdig gezeichnet.

Die Sprachgestaltung ist, wie man es von Tijan Sila kennt: humorvoll, reich an Metaphern und ergreifend.
Die Spannung hält sich durchgehend und nimmt gegen Ende sogar nochmal zu.

Der Schluss hat mich nachdenklich gestimmt: Nehmen wir unsere Freiheit ernst genug? Sind wir zu bequem?
Solange wir mitbestimmen können, sollten wir dies tun.
Damit Hoffnung Realität werden kann, und nicht wie in Crocutanien zu unerfüllten Sehnsüchten verfällt.

 

Auf einen Blick

Tijan Sila
Die Fahne der Wünsche
Roman
Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3-462-05134-6
Erschienen am: 07.09.2018
320 Seiten, gebunden mit SU

Das babylonische Wörterbuch

Der erste Eindruck

Die vorliegende Ausgabe ist ein absolut ansprechendes Buchkunstwerk. Die Farbgestaltung des Schutzumschlags findet sich auch auf dem Bucheinband wieder: Dieser ist ebenso türkis wie die Fadenheftung und das gelbe Lesebändchen kontrastiert dies. Den Vorsatz bilden farblich stimmige Vögel auf einem gelben Hintergrund, was diese ohnehin wertige Ausgabe einmalig macht.

Der Inhalt

Das babylonische Wörterbuch vereint 13 Erzählungen des lateinamerikanischen Autors Joaquim Maria Machado de Assis.
Als Beispiel möchte ich näher auf die namensgebende Geschichte eingehen.

Das babylonische Wörterbuch handelt von dem Fassbinder Bernardino, der politische Reden schwingt. Er stachelt das Volk auf, bis es seiner Meinung ist, dass der Thron dem Volk zustehe.
Allerdings wird nach dem Sturz des Königs klar, dass der Thron für dieses zu klein ist. So kommt es, dass Bernardino selbst den Herrschersessel besteigt.

Es folgen sinnfreie Amtshandlungen, wie beispielsweise, dass das gesamte Volk Brillen tragen muss, um Bernardino, der nach einer Augenentzündung selbst eine benötigt, nah zu sein. Oder, dass die Stelle des kleinen Zehs am Schuh mit einem Loch versehen werden muss, um mit dem König mitzufühlen, der an dieser Stelle ein Hühnerauge hat. Trotz seiner Machtposition hat der König es schwer im Kampf um die Frau, die er begehrt.

Estreladas ,,Familie redet ihr ein, dass eine Krone auf dem Kopf wohl mehr wert sei als Sehnsucht im Herzen” (S.101), doch sie  gibt der Verlockung nicht nach. Heimlich begehrt sie einen Poeten, weshalb sie verkündet jenen zu heiraten, der das schönste Madrigal erdichtet.

Dreimal siegte der Mann ihrer Begierde, doch Bernardino ließ dies jedes Mal für ungültig erklären.
Seine Minister raten ihm dazu, eine neue Sprache zu schöpfen, damit der begabte Konkurrent keinen Vorteil mehr hat.
Daraus resultierend entsteht das babylonische Wörterbuch und der Wettkampf geht in die vierte Runde.

Das Fazit

Die beschriebene pseudohistorische Anekdote steht stellvertretend für die gesamte Sammlung, obwohl diese vielfältiger ist.
Doch obwohl jede Erzählung für sich steht, wird deutlich, was dieses Buch ist: Unterhaltsam, paradox und auch anregend.
Was ich zunächst befremdlich fand, im Verlauf des Lesens aber immer ansprechender, ist der altmodische Sprachstil.
Geschuldet ist dies wohl der Zeit, in der der 1839 geborene Autor lebte.

 

Auf einen Blick

 

Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis, Melanie P. Strasser Mit Nachwort von Manfred Pfister Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 9,0 x 15,0 cm ISBN: 978-3-7175-2422-9 € 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,90* (* empfohlener Verkaufspreis) Verlag: Manesse Erschienen: 23.04.2018

Wenn wir wieder leben- Charlotte Roth

Der erste Eindruck

Ich mag das Cover und die Ernsthaftigkeit der Thematik, die in der Buchbeschreibung erwähnt wird. Die ersten 20 Seiten des Buches führen wohl erst noch zum Kern der Geschichte, denn ich musste mich nachträglich vergewissern, ob es sich tatsächlich um das erwartete Buch handelt.

Positiv finde ich den Schreibstil, den Einstieg in die Geschichte, der zum Weiterlesen veranlasst und die liebevolle Mutter, die Kosenamen wie “meine kleine Pirogge, mein Pischkachelche” in Petto hat.

Der Inhalt

In den 1920er-Jahren leben Lore, Gundi, Julius und Erik in Zoppot. Sie träumen von einer Musikkarierre und beginnen diese unter dem Namen “Die Vier aus Zoppot”. Die Freunde werden entdeckt und gefördert.

1963 fragt die junge Studentin Wanda nach der Vergangenheit ihrer Mutter. Allerdings hüllt sich die Familie in Schweigen.
Welche Rolle spielte ihre Familie im Nationalsozialismus? Auf welcher Seite stand sie?
Durch Unterstützung  begibt sich Wanda auf die Reise, doch sie muss einiges beachten:

Sie steigen in Poznan um, nicht in Posen, (…)fahren nach Gdansk, nicht nach Danzig, (…)nehmen die Regionalbahn nach Sopot. Die deutschen Namen klingen für viele Leute, als kämen Sie, um ihnen das Land wegzunehmen. (S. 330)

Das Fazit

Ich bin angetan von der Sprachgestaltung, allen genutzten Verniedlichungen und der Darstellung der Charaktere.
Es geht viel um Gefühle, die der Krieg ausgelöst hat und den Umgang der Menschen mit diesen.

Meine Mutter sagt, man muss sich um den Kehlkopf herum eine Grenzlinie ziehen: Die Augen und Ihren nehmen alles auf, das Gehirn verarbeitet alles, aber der Hals filtert, und in die Brust rutscht nichts.

Lediglich in der Mitte zieht sich die Handlung , aber darüber wegzusehen lohnt sich. Mich auf diesen Roman einzulassen war eine gute Entscheidung: “Wenn wir wieder leben” von Charlotte Roth hat mich aus meinem Sommerleseloch geholt.

Auf einen Blick

Taschenbuch: 608 Seiten
Verlag: Knaur TB (2. Juli 2018)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3426520303

Die Ziege auf dem Mond

Die Ziege auf dem Mond von Stefan Beuse und Sophie Greve erscheint am 23. Juli 2018 im Carl Hanser Verlag.

🐐 Der Inhalt

Die Uhr bei der Ziege ist stehen geblieben, um Viertel nach neun- wie praktisch! Denn das ist zufällig die beste Uhrzeit der Welt. Und wenn sie doch mal ein bisschen doof ist, setzt die Ziege einfach ihr weisestes Ziegenlächeln auf und erfreut sich an Kleinigkeiten, wie der Klarheit ihrer Gedanken.

Obwohl die Ziege ganz alleine auf dem Mond lebt, ist sie keineswegs einsam. Denn es gibt so viele Dinge:
nutzlose Dinge, schöne Dinge, aber leider auch gefährliche.
Gefährlich ist, was traurig macht und weil die Ziege viel lieber glücklich als unglücklich ist, wird das kurzerhand verbannt.
Wenn das aber nicht geht, wird einfach die Perspektive gewechselt, denn

Manchmal muss man die Dinge nur ein bisschen im Kopf bewegen,
nicht mal in echt. Und schon ist alles ganz anders. (S.25)

🌙 Das Fazit

Vergesst alle Ratgeber, hier kommt Die Ziege auf dem Mond und die bringt eine glückliche Lebensführung ganz simpel nah. Der Achtsamkeitshype erscheint so nicht als esoterisches Konstrukt, sondern als einfache und logische Art der Lebensführung.

Die Ziege kann ein Vorbild sein für Jung und Alt und ihrem Charme muss man einfach erliegen, ich war schon vom Cover hin und weg. Ich mag sehr gerne, dass sich die Illustrationen durch das ganze Buch ziehen und habe sie mehr als nur einmal angesehen.
Es ist toll, dass dieses Buch ernst ist, aber am Puls der Zeit: Die Mutmachshirts der Ziege kann ich mir auch gut in meinen Kleiderschrank denken.

Die Ziege hat außerdem auch eine zuckersüße eigene Website, auf der sie kontaktiert werden kann: https://dieziegeaufdemmond.de/
Vielleicht schicke ich ihr mal Grüße zum Mond!

Auf einen Blick

Die Ziege auf dem Mond
Stefan Beuse, Sophie Greve
ISBN: 
9783446260504
Sprache: Deutsch
Ausgabe: Fester Einband
Umfang: 72 Seiten
Preis: 14 €
Verlag: Hanser, Carl
Erscheinungsdatum: 23.07.2018

Teich von Claire-Louise Bennett

Der Inhalt

,,Teich“ von Claire-Louise Bennett nimmt den Leser mit in ein Leben fernab der Zivilisation, denn es spielt in einem einsamen Cottage an Irlands Westküste. Mehr lässt sich dazu tatsächlich nicht sagen, denn Im Vordergrund stehen Schilderungen, welche von einem Bild zum nächsten führen, und damit von Emotion zu Emotion.

Lieblingszitate

Um Dir als potentiellen Leser den Roman näherzubringen, möchte ich anhand von einigen Zitaten auf  diesen eingehen.

Pfannengericht: Habe eben mein Abendessen in den Müll geworfen. Ich wusste schon während des Kochens, dass ich das tun würde, deswegen habe ich alles hineingerührt, was ich nicht mehr sehen will. (S.81)

Dieses Zitat entspricht einem der insgesamt 20 Kapitel, wobei diese unterschiedlich lang sind und ich mag das hier gezeichnete Bild: Lebensmittel werden mit Freude kleingehackt und verarbeitet; ebenso die gesamten Eindrücke, die das Leben bietet.
Ich interpretiere es so, dass die Protagonistin sich über die Kleinschrittigkeit ihrer Gedanken die Welt so zurechtrückt, wie sie ihrer Realität und Wahrnehmung entspricht. Dass sie hierbei möglichst genau sein möchte, zeigt folgende Passage:

Übrigens ist die Sprache, in der ich schreibe, nicht meine Muttersprache. […] Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie sich überhaupt äußern ließe. Ich glaube, sie muss bleiben, wo sie ist, in der dehnbaren Dunkelheit zwischen meinen glitschigen Organen, wo sie leise Gestalt annimmt. (S.50f.)

Diese offenbart, dass sich viele Empfindungen nicht in Worte fassen lassen und, dass der Leser die Bilder hinter den Formulierungen deuten muss.

Das Fazit

Der Roman stimmt mich nostalgisch. Er erinnert mich an eine Zeit, in der ich beinahe keinem Medieneinfluss unterlag. Die hierdurch gewonnene Zeit förderte Raum für Gedanken (und Langeweile, mehr zum Thema hier).

,,Teich” von Claire-Louise Bennett ist ein erfreulich anderes Buch, das Sehnsucht nach Achtsamkeit und mehr Realität aufkeimen lässt. Der Leser muss aber gewillt sein, sich darauf einzulassen, denn

Meine Gedanken sind ebenso schwer zu durchdringen wie die immer neuen Schichten aus Putz und Kalkmilch, mit denen man die Folgen der bockigen Erdbewegung zu übertünchen versucht. (S.58)

beschreibt den Verlauf des Romans äußerst treffend!

Auf einen Blick

Teich von Claire-Louise Bennett
Aus dem Englischen von Eva Bonné 
Originaltitel: Pond
Originalverlag: Riverhead Books
224 Seiten, € 20,00
ISBN: 978-3-630-87556-9
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Erscheinungsdatum:  23.04.2018

Erste Liebe von Iwan Turgenjew

Der Inhalt

Die autobiografische Liebesgeschichte spielt zwischen einem 16-Jährigen und einer fünf Jahre älteren Frau. Sie wird von dem inzwischen gealterten Wladimir Petrowitsch erzählt, der sich daran in Gegenwart von Freunden zurückerinnert.

Iwan Turgenjew brachte den Bezug zu sich folgendermaßen zum Ausdruck:

Erste Liebe ist am Ende mein Lieblingswerk. Dies ist das Leben selbst.
Das ist nicht erdichtet, das ist erlebt.

Die Geschichte spielt im Sommer 1833 in der Nähe von Moskau. Wladimir ist das einzige Kind seiner Mutter, die zehn Jahre älter als der Vater ist. Wladimirs Verhältnis zu seinen Eltern ist distanziert.
Die Mutter ist gereizt und eifersüchtig, doch zeigt das aus Angst gegenüber dem Vater nicht.
Dieser wird vom Erzähler als ruhig, selbstbewusst und beherrscht beschrieben.

Wladimir hat Zeit, um sich auf die Universität vorzubereiten, doch er wird abgelenkt von unbändigen Gefühlsregungen und Gefühlsschwankungen.
Diese verstärken sich, als er die Tochter seiner neuen Nachbarin, Sinaida, kennenlernt.

Alle Männer begehren sie und scharen sich um sie. Jedem macht sie Hoffnungen, obwohl sie sich nur auf einen einlässt. Ausgerechnet auf Wladimirs Vater.

Die Sprache

Die Ausdrucksweise ist pathetisch und es finden sich viele Naturmetaphern, was mich an ,,Die Leiden des jungen Werther” erinnert hat.

Ich schaute und konnte mich von dem Anblick nicht losreißen: dieses stumme Blitzen, dieses verhaltene Leuchten entsprach, so schien es mir, jenen stummen und verborgenen Ausbrüchen, die auch in meinem Inneren aufflammten. (S. 67)

Dennoch finde ich es für eine überwältigende Liebesgeschichte angemessen und authentisch, zumal der Protagonist dieses Gefühl das erste Mal in seinem Leben verspürt.
Die Ausdrucksweise stellt keine Schwierigkeit zum Verständnis der Handlung dar.

Das Fazit

Erste Liebe ist ein wunderbarer und leicht zu lesender russischer Klassiker, der ausdrucksstark eine ungewöhnliche und ungleiche Liebesgeschichte beinhaltet.

Auf einen Blick

Erste Liebe von Iwan Turgenjew
Seitenzahl 210
Erscheinungsdatum 1986
Sprache Deutsch, Russisch
ISBN 978-3-15-001732-6
Verlag Philipp Reclam Jun.
Übersetzer Kay Borowsky

Die Spuren meiner Mutter von Jodi Picoult

🐘 Der Inhalt

Jenna ist 13 Jahre alt und lebt bei ihrer Oma, da ihre Mutter, die Elefantenforscherin Alice Metcalf, verschwunden ist. Obwohl es höchst unwissenschaftlich ist, holt sie Serenety ins Boot. Sie ist ein bekanntes Medium, das schon viele Vermisstenfälle gelöst hat.
Die beiden werden bei der Suche unterstützt durch Virgil, einen Privatdetektiven, der vor der Einstellung des Falls mit diesem vertraut war.

🐘 Der Aufbau

Die Kapitel werden nicht immer nur aus der Sicht von Jenna, Serenety oder Virgil geschildert, sondern auch Jennas Mutter Alice gibt Einblicke in ihr Leben. Hierbei geht es zunächst primär um ihre Arbeit mit den Elefanten, doch im Verlauf werden ihre Beschreibungen konkreter und privat. Nach und nach ergibt sich so ein Gesamtbild der Situation.

🐘 Das Fazit

Ich mochte alle vorkommenden Personen und vor allem mit Jenna habe ich von Anfang an mitgefühlt. Von der ersten Seite an hat mich Jodi Picoults simpler Schreibstil gefesselt und durch den stetigen Erzählerwechsel wurde eine große Spannung aufgebaut. Das Ende war während des Lesens nicht vorhersehbar, sodass es durchgehend interessant blieb. ,,Die Spuren meiner Mutter” ist ein schöner Roman über die Liebe zwischen Mutter und Tochter.

 

Auf einen Blick

Die Spuren meiner Mutter von Jodi Picoult
Roman
Aus dem Englischen von Elfriede Peschel
Originaltitel: Leaving Time
Originalverlag: Ballantine Books (Random House), New York 2014
Verlag: C. Bertelsmann
Erschienen: 29.08.2016

Die geliehene Schuld von Claire Winter

Der Inhalt

Der Journalist Jonathan Lessing recherchiert über ehemalige Kriegsverbrecher und deren Verbleib nach dem zweiten Weltkrieg, bevor er bei einem mysteriösen Unfall ums Leben kommt.
Seiner Kollegin und Jugendfreundin Vera Lessing, die ebenfalls Journalistin ist, hatte er sich zu Lebzeiten nicht anvertraut, doch jetzt hat sie Unterlagen von ihm erhalten und den Auftrag weiterzurecherchieren. Für die Öffentlichkeit. Für die Wahrheit. So macht Vera sich auf die Suche nach dieser und begibt sich bis in die mächtigen Kreise der Geheimdienste, und somit in große Gefahr.

Die Personen

Am Ende des Buches findet sich ein Personenverzeichnis, was ich sehr begrüßt habe, da viele Personen auftreten.

Da ist einmal die Familie Weissenburg, deren jüngstes Kind Marie plötzlich erwachsen wird und beginnt sich für die Vergangenheit der Familie zu interessieren. War ihr gefallener Vater wirklich ein Soldat, dessen Vermächtnis man nicht beschmutzen soll? Welche Rolle spielte er im Krieg?

Marie lernt Jonathan kennen und bittet ihn, Nachforschungen anzustellen, da er als Journalist ganz andere Möglichkeiten hat als sie selbst.
Auch Marie macht sich auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit und findet hierbei eine Freundin: Lina Löwy, eine Jüdin, die während des Holocaust bis auf ihren Bruder alle Familienmitglieder verloren hat.

Obwohl Marie nichts für die Verbrechen ihres Vaters kann, fühlt sie sich schuldig, doch Lina tröstet sie:

Du bist ein guter uns besonderer Mensch. […] Dass du die Wahrheit über deinen Vater wissen wolltest, obwohl du geahnt hast, an welchen Verbrechen er beteiligt war, das bewundere ich, und es hilft mir, mich mit diesem Land zu versöhnen, weil es mir den Glauben zurückgegeben hat, dass nicht alle Menschen in diesem Land so waren und sind wie die, die meine Familie umgebracht haben. (S. 381)

Das Fazit

Noch nie habe ich 571 Seiten in so einem rasanten Tempo verschlungen wie ,,Die geliehene Schuld”.
Durch kurze Kapitel mit Perspektivwechseln und Zeitsprüngen baut sich eine Dynamik auf, die den Leser mitreißt in die deutsche Nachkriegszeit. Hierbei muss der Leser allerdings konzentriert sein, sonst droht die Geschichte schnell unübersichtlich zu werden.
Durchgehend formten sich die Worte in meinem Kopf zu Bildern und ich genoss nicht nur die Liebes-, Freundschafts- und Familiengeschichten, sondern auch die historischen Fakten, die den Rahmen hierfür bilden.

Die geliehene Schuld hat mich berührt und nachdenklich zurückgelassen: Wie beherrschen frühere Strukturen noch immer unser politisches und gesellschaftliches System? Auf welchen Missständen beruht unsere Demokratie? Wie tief ist rechtes Gedankengut, vor allem bei den Älteren noch immer präsent?
Bisher habe ich die unangenehme Thematik des zweiten Weltkrieges lieber ausgeblendet, doch dieser Roman hat mich dem erstmal geöffnet.

Auf einen Blick

Die geliehene Schuld
Claire Winter
Gebundene Ausgabe: 576 Seiten
Verlag: Diana
Erschienen am 5. März 2018
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453291948

Der Zopf von Laetitia Colombani

Der Inhalt

Smita, Giulia und Sarah sind drei Frauen, die auf unterschiedlichen Teilen dieser Erde zu Hause sind. Entsprechend unterschiedlich sind ihre Leben. Gemeinsam haben sie den Kampf um ihre Zukunft, jede auf ihre Art und Weise.

Die Personen

Smita lebt in Indien, wo sie zu der ärmsten Bevölkerungsschicht zählt. Sie gehört keiner Kaste an, weshalb sie niemals Bildung genießen konnte. Sie lebt mit ihrer sechsjährigen Tochter Lalita in einer schäbigen Hütte und verrichtet niedere Arbeiten. Es gibt keine Abwassersysteme und keine Kanalisation: Krankheiten breiten sich aus und Frauen müssen bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, damit sie sich auf dem Feld erleichtern können. Hierbei sind sie vielfach Übergriffen ausgesetzt. [Hierzu habe ich vor einigen Jahren mal diesen Zeitungsartikel bei Zeit.de gelesen und für gut befunden.]
Smita möchte, dass Lalita mal ein besseres Leben hat als sie selbst und ist bereit, alles dafür zu tun.

Giulia lebt mit ihrer Familien in Sizilien, wo der Vater eine Perrückenfabrik besitzt. Nach seinem Tod übernimmt Giulia diese, doch muss feststellen, dass sie beinahe bankrott ist. Sie sieht zwei Möglichkeiten: Das Geschäft gegen den Rat der Familie zu erneuern, oder es lokal untergehen zu lassen.

Sarah ist eine erfolgreiche Anwältin aus Kanada und alleinerziehende Mutter dreier Kinder. Es nagt an ihr, wenig Zeit mit den Kindern verbringen zu können und trotzdem ist ihr ihre Karriere sehr wichtig. Durch diese kann sie sich allerdings einen Betreuer für ihre Kinder leisten, um alles unter einen Hut zu bringen. Als wäre das nicht schon anstrengend genug, erkrankt Sarah auch noch an Krebs. Sie will weder verletzt, noch schwach oder ängstlich wirken, und nimmt autonom den Kampf gegen ihren Tumor auf.

Das Fazit

Ich empfand die drei Geschichten als nicht zu sehr miteinander verwoben, sodass ich dazu übergegangen bin, die Kapitel nicht in abwechselnder Reihenfolge zu lesen, sondern nach Personen sortiert.
Angefangen habe ich hierbei bei Sarah, da sie das typisch westliche Leben hat, mit dem ich mich am meisten identifizieren kann.
Bei der Geschichte um Giulia gefiel mir am besten die mitschwingende erotische Leidenschaft, die in diesem Roman einzig bei ihr zu finden.
Der Lebensweg, der am meisten Mut bedarf wird Smita zuteil. Die Schilderungen um ihre Lebenssituation empfand ich als verstörend und ich konnte richtig mitfühlen, wie sie sich nichts sehnlicher wünscht als ein besseres Leben, vor allem für ihre Tochter.

Jede Geschichte für sich stehend ist anschaulich geschildert und auch, wenn sich die drei nur schwer vergleichen lassen zeigt sich, dass jedes Problem ein Problem ist, doch dass mutige Frauen sich dem stellen und dies überwinden können. ,,Der Zopf” ist ein mitreißendes Buch, das den Leser über das Lesen hinaus beschäftigt.

Auf einen Blick

Titel: Der Zopf
Autorin: Laetitia Colombani
Originalsprache: Französisch
Übersetzt von: Claudia Marquardt
Preis € (D) 20,00 | € (A) 20,60
ISBN: 978-3-10-397351-8
288 Seiten, gebunden
S. FISCHER