Monat: November 2018

Hör auf zu lügen von Philippe Besson

Das erste von drei Kapiteln spielt 1984. Es gibt eine Einführung in das Leben des 17-jährigen Philippes. In einem kleinen französischen Dorf besucht der hochbegabte Philippe ein Gymnasium, das unter der Leitung seines Vaters steht.
Er ist ein Außenseiter, denn

Ich bin ein Musterschüler,(…)der Stolz seiner Lehrer.
Heute würde ich diesen Siebzehnjährigen Ohrfeigen, nicht etwa wegen seiner guten Zensuren, sondern weil er immer nur seinen Richtern gefallen wollte. (S.16)

Er verfügt über keinen Ehrgeiz, langweilt sich und tut, was von ihm erwartet wird. Es kursiert das Gerücht über seine Homosexualität, wegen seiner körperlichen Schwäche, und weil er nie mit einem Mädchen gesehen worden war. Passiv wie er ist, reagiert er nicht darauf. Er ist unfähig zu benennen was er fühlt, wenngleich er bereits im Alter von 11 Jahren erste Intimitäten mit einem Nachbarsjungen austauschte.

1984 ist es Thomas Andrieu, der Philippe berührt. Physisch wie psychisch, doch

das Gefühl der Liebe erfüllt mich, beglückt mich. Doch es verbrennt mich auch, tut so weh wie jede unmögliche Liebe mit all ihren Schmerzen. (S. 25)

Nur geheime Treffen sind den jungen Männern möglich.
Thomas ist wortkarg, distanziert und hat seine Emotionen nach außen hin besser im Griff als der offensichtlich sensible Philippe.

Doch die Leben beider werden durch ihre Homosexualität zu einem Kreislauf aus Heimlichkeit, Verzicht und Verlust.

Kapitel 2: 2007

Um diese Dinge zu verarbeiten, wird Philippe Schriftsteller.
Schreiben ist sein Ventil, um der Hilflosigkeit etwas entgegenzusetzen.

Während einer Signierstunde seines jüngsten Romans erblickt er einen Mann, der Thomas so sehr ähnelt, dass er die Fassung verliert und nach Thomas ruft.
Der junge Mann entpuppt sich als der Sohn seiner Jugendliebe und lässt sich auf ein Gespräch ein.

Dieses verläuft unkompliziert und Kontaktdaten werden ausgetauscht.

Kapitel 3: 2016

Erst jetzt, 9 Jahre später treffen der Sohn und der Journalist sich erneut.
Die Geschichte erweist sich im Rückblick als noch viel schmerzhafter als durch den Leser ohnehin bereits angenommen.

 

Fazit

Homosexualität wird häufig als eine moderne Erscheinungsform verlotterter Sitten angesehen und deswegen finde ich es gut, dass dieser autobiografische Roman zeigt, dass auch in früheren Zeiten und ohne den Einfluss neuer Medien die Vielfältigkeit der Menschen und ihrer Gefühle und Belange gegeben war.

Für mich war es das erste Buch dieser Thematik und ich empfand die Geschichte als ungerecht.
Obwohl sprachlich sehr schöne Passagen dabei sind, wie die oben genannten Zitate meiner Meinung nach zeigen, werden durch diverse Zeitsprünge und die doch eher sachliche Schilderungen der Gegebenheiten ausreichend emotionale Distanz erzeugt, sodass ich trotz des erwähnten Schmerzes nicht absolut mitfühlen konnte.

Das wurde auch dadurch verstärkt, dass ein männliches homosexuelles Paar für mich keine Projektionsfläche für meine Gefühle darstellt.
Ich verstehe die Gegebenheiten, doch wirklich nachempfinden kann ich diese nicht.

Dies führte mich zu der Überlegung, ob es homosexuellen bei konventionellen Hetero-Romanen ähnlich ergeht. Denn diese beinhalten eine andere Art von Heimlichkeit und dadurch auch von Schmerz.

Für mich ist Hör auf zu lügen demnach ein interessanter Blick über meinen Tellerrand gewesen, mit dem man nicht viel falsch machen kann.

Auf einen Blick

Aus dem Französischen von Hans Pleschinski
Originaltitel: Arrête avec tes mensonges
Originalverlag: Éditions Juillard, Paris 2017
160 Seiten
€ 20,00 [D]
Verlag: C. Bertelsmann
Erschienen am 08.10.2018