Monat: Januar 2018

Rattatatam, mein Herz von Franzsika Seyboldt

Vom Leben mit der Angst

Angst ist erstmal nur ein Gefühl mit einer Funktion. Sie soll uns beschützen vor wirklichen Gefahren, doch was, wenn sie überhand nimmt?

Am 11. Januar erschien „Rattatatam, mein Herz”, in dem Franzsika Seyboldt mutig und offen von ihrer Angststörung erzählt. Sie versteckt sich hierbei nicht hinter einem lyrischen Ich, der Freundin eines Freundes oder einem Pseudonym und trägt damit entscheidend dazu bei, Stigmatisierung entgegenzuwirken.

An manchen Tagen fühlt sich die Autorin wie eine Schildkröte: bepanzert und sicher. An anderen Tagen hingegen wie ein Sieb, das alle Eindrücke filtert, wobei sie nicht kontrollieren kann, was haften bleibt. Das innere Dilemma und die daraus resultierende Anspannung macht sie jahrelang mit sich aus. Niemand soll die Angst bemerken, was zwangsläufig noch zu mehr Angst führt.

Die Autorin beschreibt, wie ihr die Kontrolle über dieses Gefühl entglitten ist und sich ins Gegenteil verkehrt hat: Die Angst hat sie im Griff. Sie ist ein ständiger, intriganter Begleiter und verhöhnt in Dialogen ihren Wirt.

Dafür, dass Angststörungen ziemlich häufig auftreten (jeder 6. Deutsche hat 1x in seinem Leben eine), wird zeimlich wenig offen darüber geredet. Die Autorin bricht damit und somit auch mit dem Zwang unangreifbar sein zu wollen.

Sie beschreibt Erkenntnisse, die sie über die Jahre gewonnen hat und diese sind auch für Nicht-Angstpatienten sehr hilfreich. Beispielsweise beschreibt Seyboldt, wie sie gekränkt wird und das hinnimmt, um ihr Gegenüber nicht zu verletzen. Wie sie eine Frau beobachtet, die ihre Grenze wahrt und sich überlegt, dass sie sich das jetzt nicht getraut hätte. Genau diese Grenzen sind aber so wichtig. Das Wahrnehmen des Rechts auf die eigenen Gefühle.

Fazit

Inmitten von einer perfektionierten Welt wird hier eine wichtige Botschaft vermittelt: Es ist ratsam, sich selbst im Blick zu haben, Grenzen zu setzen und seine Priorität auf sich selbst zu legen. In diesem Leben, das einem nur einmal gegönnt ist, soll es einem so gut wie möglich gehen. Das nehme ich daraus mit.

Besonders hervorheben möchte ich noch die Aufmachung des Buchs. Das Cover zeigt den ausgeprägten Herzschlag, den die Angst mit sich bringt und so finde ich den Titel, die Optik, sowie die Haptik sehr gut gelungen. Ein wunderbares Buch, in jeder Hinsicht.

Auf einen Blick

Rattatatam, mein Herz:
Vom Leben mit der Angst

Franziska Seyboldt
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-31684-1
Erscheinungsdatum: 11.01.2018
256 Seiten

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Joachim Meyerhoff- Alle Toten fliegen hoch

Teil 1: Amerika

Ich wollte endlich lernen, so zu gucken, als hätte ich ein Geheimnis, und nicht, als wäre mir die Welt eines.

Mit dieser Motivation begibt sich der 17-Jährige Joachim im ersten Band von „Alle Toten fliegen hoch“ für ein Jahr nach Amerika. Gleich zu Beginn gibt er zu, dass er zwar oft behauptet, es sei ein Basketballstipendium gewesen, doch in Wirklichkeit haben seine Großeltern den Austausch bezahlt.

Diese schonungslose Ehrlichkeit zieht sich durch den gesamten Familienroman.

Der Ich-Erzähler ist ein normaler Teenager mit miesen Noten und Interesse für Sport und Mädchen. Weil er unbedingt nach Amerika will, schummelt er seine Person und seine Präferenzen betreffend bei der Austauschorganisation.

Als es soweit ist, lässt er mit großen Erwartungen seine Eltern, seine zwei Brüder und seine Freundin zurück, mit der er erst seit ein paar Monaten zusammen ist, und begibt sich auf seine Reise. Wegen seiner gemachten Angaben landet der Erzähler bei einer religiösen Familie in Laramie, einer idyllischen Stadt, in der das Leben ruhig ist, doch nicht zu ruhig für einen abenteuerlichen Austausch.

Zahlreiche neue Erlebnisse und Eindrücke warten auf den Protagonisten: Ein Wasserbett, auf dem er sich so herrlich unkompliziert zum Höhepunkt schwabbeln kann, ein gemeiner Gastbruder, dessen Hass keinen Grund zu haben scheint, sowie ein selbst zusammengestellter Stundenplan mit Fächern wie Tischlern, Theater und Identitätsfindung.

Meine Lieblingsanekdote trägt sich in der 3. Schulstunde an der neuen Schule zu. Beim Werken beobachtet der Erzähler, wie ein Mitschüler für seinen durch einen Bauern erschossenen Hund Brandy ein Kreuz zimmert. “Plötzlich schleuderte er seinen Hammer gegen die Wand und rannte aus der Werkstatt. Wir anderen gingen zum Kreuz. Da stand B R A D Y . Er hatte sich vor Trauer verschrieben.”

Ich mag sehr gerne, dass der Erzähler so detailliert beobachtet und wertfrei erzählt, das macht die Tragik der Situationen so komisch. Generell ist Meyerhoffs Sprache gekennzeichnet durch eine Leichtigkeit, mit der auch unschöne Erfahrungen für den Leser  erheiternd sind. Dabei liegt der Witz in der Gelassenheit, mit dem der Ich-Erzähler sich und sein Erleben reflektiert.

Fazit

Absolut lesenswert! Schade finde ich nur, dass der Erzähler erst ab etwa Seite 100 tatsächlich in Amerika ankommt. Die Rückblenden in die Kindheit nehmen dafür, dass sie für den weiteren Verlauf nicht mehr bedeutend sind, zu viel Raum ein. Ich habe anhand derer einen aufbrausenden, von Zornattacken  geplagten Charakter erwartet, der Schwierigkeiten mit den Gasteltern haben würde.
Insgesamt nimmt Meyerhoff den Leser so pointiert-witzig mit auf seine Reise, sodass die nächsten Bände jetzt ganz klar auch auf meiner Wunschliste stehen!

Auf einen Blick

Alle Toten fliegen hoch
Bandnummer 1
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04436-2
Erschienen am: 14.02.2013
336 Seiten

Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler

Aufbau und Handlung von Nathan und seine Kinder

Der Roman ist eine Variation von Lessings Nathan der Weise. Er ist in 16 Kapitel gegliedert und jedes wird aus der Sicht einer anderen Figur erzählt. Sie stellen sich vor und berichten, wie sie in Nathans Haus gekommen sind. Dadurch wird die Handlung sehr vielschichtig und lebendig.

Die Geschichte spielt um 1192 in Jerusalem, zur Zeit der Kreuzzüge.

Am Anfang gibt es einen Brand in dem Haus, bei dem Recha, Nathans Tochter, von einem Tempelritter gerettet wird. Seine Tochter verliebt sich in ihren christlichen Retter.

Es zeigt sich im Folgenden, dass Nathan gut mit seinen Bediensteten umgeht. Als er von einem erfährt, dass er ein namenloser Waise ist und dessen Traurigkeit darüber verspürt, schlägt er ihm vor sich einen Namen auszusuchen.
Das Problem, dass sich für den Angestellten hierbei stellt ist aber, dass er seine Religion nicht kennt. Dazu sagt Nathan aber nur

Egal, wer deine Eltern waren, ein Mensch braucht einen Namen. Such dir etwas aus

Auf seinen Wunsch hin nennt er ihn Geschem, was Regen heißt.

Und weil wir alle Abrahams Söhne sind, heißt du jetzt Geschem Ben Abraham oder Geschem Ibn Ibrahim, je nachdem, wer dich nach deinem Namen fragt.

Das zeigt also den Konflikt der Religionen, um den es hier geht.

Sogar Nathans engster Vertrauter findet Nathans solidarische Haltung gegenüber Menschen, egal welcher Religion angehörend, gefährlich und nahezu ketzerisch.

Der Sultan Saladin ist ein Muslim und lässt Nathan rufen, um ihn zu fragen, was die richtige Religion sei. Er antwortet mit der Ringparabel, was das Kernstück des Romans ist.

Nathan glaubt, dass eine gute Tat eine andere nach sich zieht, doch viele trachten ihm wegen seines Toleranzgedankens nach dem Leben.

Ein Roman voller Weisheiten

Da ich nicht gerne Theaterstücke lese, mir Lessings Werk aber gerne zu Gemüte führen wollte, habe ich mich für diese moderne Variation entschieden und es war eine gute Entscheidung. Die Figuren sind mir vertraut geworden und vieles hat mich nachdenklich gestimmt.

Es sind nur die Wege, ihm (Gott) zu dienen, welche die Religionen unterscheiden, der Kern ist gleich: die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen. Und die Dankbarkeit für das Leben.

Leider sind religiöse Konflikte noch immer ein aktuelles Thema und wann immer ich jetzt damit konfrontiert werde, werde ich an Nathan denken.

Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages die Menschheit erheben und die wahre Bedeutung ihres Glaubensbekenntnisses ausleben wird. Ich habe einen Traum, dass eine Tages die Söhne von Juden, Muslimen und Christen miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können. (….) Aber es ist nur ein Traum. Die Wirklichkeit ist eine andere.”

Auf einen Blick

Mirjam Pressler
Nathan und seine Kinder
Roman
264 Seiten
ISBN:978-3-407-74233-9
Erschienen: 2009
Ab 14 Jahre
Reihe: Gulliver

Für jede Lösung ein Problem von Kerstin Gier

Für jede Lösung ein Problem- Darum geht’s

Gerri ist die Jüngste von ihren vier Geschwistern und das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter wird schon dadurch deutlich, dass sie die Namen ihrer Kinder nicht weiß, allerdings die ihrer Tupperschüsseln.

Gerri ist trotz Onlinedating hoffnungslos single und verdient ihr Geld mit Groschenromanen, was ihre Familie lieber verschweigt. Kurzum, sie ist eine Enttäuschung für ihre Familie und insbesondere ihre Mutter. Auflehnen kann sie sich nicht dagegen, da sie zu harmoniesüchtig ist und so beschließt sie sich das Leben zu nehmen.

Trotz bester Planung geht das gründlich schief. Blöd nur, dass sie die Abschiedsbriefe schon verschickt hat, in denen sie so offen war, wie nie zuvor. Jetzt muss sie das Schlamassel ausbaden.

Meine Meinung

Es ist mein erstes Buch von Kerstin Gier und garantiert nicht das letzte.

Ab der ersten Seite hatte ich große Lust den Roman zu lesen und wollte ihn auch dazwischen nicht weglegen. Er ist äußerst erheiternd und die Protagonistin Gerri äußerst sympatisch. Ich finde nur nicht gut, dass diese “ganze Umbringerei” von allen Seiten bagatellisiert wird, da es das gängige Bild stärkt, dass Suizide einzig der Aufmerksamkeit dienen sollen, auch wenn die Autorin im Nachwort beteuert, dass dies nicht ihre Absicht gewesen sei. Außerdem wären die Eigenheiten der Familie lustiger, wenn sich einige davon nicht so oft wiederholen.

Fazit

Für jede Lösung ein Problem ist sehr kurzweilig und amüsant. Die perfekte Lektüre, um einfach mal die Seele baumeln zu lassen.1

Glücksspuren im Sand von Rachel Bateman

Glücksspuren im Sand

ist die Geschichte eines Sommers, eines Lebens und eines Todes. Sie wird von der 17-jährigen Anna erzählt. Ihre ältere Schwester, Storm, an der sie sich in ihrem Leben stets orientiert hat, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Es beginnt ein Trauerprozess innerhalb der Familie, der von den Eltern anders durchlebt wird als von Anna. Im Zimmer ihrer Schwester findet sie eine Sommer-To-Do-Liste, wie sie Tradition hat und weil Storm tot ist, will Anna diese für sie übernehmen. Manche Dinge lassen sich einfach erledigen, wie zum Beispiel #1: Den Sonnenaufgang erleben, oder #4: Einen Leuchtturm besuchen. Schwieriger ist da schon der letzte der 15 Punkte: Mutig leben. Cameron, der Nachbarsjunge und beste Freund der Schwester begleitet Anna dabei, die Liste zu durchleben, wobei sie sich näher kommen. Doch Cameron hat Anna etwas verschwiegen.

Die Personen

Anna, die Ich-Erzählerin, nimmt den Leser mit in ihre Gedankenwelt. Mir gefallen die Erinnerungen, die sie an ihre Kindheit mit ihrer Schwester und Cameron hat, und wie sie sich eingestehen muss, dass diese Zeit schon lange vor Storms Tod vorbei war. Außerdem wird ihr jetzt erst bewusst, was sich verändert hat, seit sie kein Kind mehr ist.

Auf einmal war Cameron ein Junge und ich ein Mädchen, und sich an den Händen zu halten hatte etwas zu bedeuten. Ich bin mir nicht sicher, wann diese Verschiebung stattfand, kann nicht nachvollziehen, wann sich alles änderte, aber an einem Tag waren wir zwei Kinder, die in Fantasiewelten spielten, und am nächsten verlegen und distanziert.

Annas Tante Morgan ist mir sehr ans Herz gewachsen. Sie unterstützt Anna uneingeschränkt in jeder Lebenslage,  was sie zu ihrer Lieblingstante macht. Außerdem nennt sie Anna liebevoll Banana und ist eine sehr gute Trostspenderin.

Ich schmiege mich an ihren weichen Körper und, passe perfekt in ihre Umarmung, als wären ihre Arme vorgeformt von den ganzen anderen Gelegenheiten, als sie mich so gehalten hat.

Auch die besten Freunde finde ich gut gezeichnet und auch den Vater konnte ich mir gut vorstellen, lediglich bezüglich der Mutter hat sich in meinem Kopf kein Bild formen können.

Der Schreibstil

Der Roman ist sehr einfach gestrickt und liest sich flüssig. Ich liebe es sehr, mir in Büchern meine Lieblingszitate zu vermerken, doch davon gab Glücksspuren im Sand für mich kaum welche her. Nichtsdestotrotz vermitteln die Schilderungen vielschichtige Atmosphären, die das Glück und die Traurigkeit wiederspiegeln.

Das Fazit

Der Roman ist schön kitschig, mit der richtigen Portion Traurigkeit und ganz viel Zuversicht darauf, dass die Dinge gut werden.

Auf einen Blick:

Glücksspuren im Sand von Rachel Bateman

Aus dem Amerikanischen von Ute Brammertz
Originaltitel: Someone Else’s Summer
336 SeitenISBN: 978-3-453-27149-4
Verlag: Heyne fliegt
Erscheinungsdatum: 26.06.2017